Das Silicon Valley kann das freie Internet nicht garantieren, schreibt Astra Taylor in ihrem Buch "The People's Platform". Sie sagt, Regulierung sei kein Grund zur Panik.
ZEIT ONLINE: Frau Taylor, wir wissen zwar, dass mit dem Internet etwas nicht stimmt. Es gibt auch eine internetkritische Debatte, die in den Feuilletons allt�glich geworden ist. Aber was fehlt in dieser Debatte?
Astra Taylor: Politische �konomie. Das ist ein Ausdruck, den ich in meinem Buch The People's Platform: Taking Back Power and Culture in the Digital Age nicht benutze, aber darum geht es. Wir m�ssen uns technologische Trends im sozialen und wirtschaftlichen Kontext anschauen. Wir m�ssen anerkennen, dass kommerzielle Interessen ihre Entwicklung pr�gen. Es reicht nicht aus, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die Technologie theoretisch erm�glichen k�nnte. Ich denke, diese Verschiebung der Perspektive k�nnte uns helfen, besser zu verstehen, was mit dem Internet "nicht stimmt", ohne v�llig pessimistisch zu werden.
ZEIT ONLINE: Was stimmt denn nicht mit der politischen �konomie des Internets?
Taylor: Die utopische Vision, die uns besonders exponierte Technologie-Experten bieten, setzt freien Markt und Kapitalismus mit Freiheit f�r Web-Nutzer gleich. Und diese Gleichsetzung versuche ich in meinem Buch anzugehen.�
Ich argumentiere, dass man den freien Markt �berdenken muss, wenn man es mit der Freiheit f�r die Nutzer und mit dem Egalitarismus ernst meint. Wenn wir einen Raum f�r kulturelle Produktion und Aktivismus wollen, gibt es keinen vern�nftigen Grund zu erwarten, das Silicon Valley k�nnte uns diesen Raum geben. Die Mission der Unternehmen dort ist es, Investoren und Shareholdern zu dienen, nicht den Interessen der Zivilgesellschaft. Da n�tzen Analogien zwischen kommerziellen Diensten und Bibliotheken oder Dorfpl�tzen wenig ? wenn wir virtuelle Dorfpl�tze und digitale Bibliotheken wollen, muss die �ffentliche Hand sie direkt finanzieren.
ZEIT ONLINE: K�nnte Crowdfunding da helfen?
Taylor: Crowdfunding �ndert nichts an den de-facto-Monopolen von Unternehmen wie Google, Facebook, Apple und Amazon. Es handelt sich um einige der gr��ten Unternehmen der Welt. Ein Freund von mir hat einen Witz gemacht, man solle doch bei Kickstarter Geld sammeln, um Kickstarter zu kaufen, um das Privatunternehmen in eine Genossenschaft zu verwandeln. Doch Spa� beiseite, ich glaube nicht, dass Projekte wie Kickstarter das Potenzial haben, das kulturelle Spielfeld nachhaltig zu ver�ndern. Und sollen nur die mit dem Dollar abstimmen, welche Art von Kulturproduktion es geben darf und welche nicht?
Ich halte Crowdfunding au�erdem f�r ziemlich ineffizient: Im Gegensatz zum institutionellen Finanzierungsmodell m�ssen Kulturschaffende sehr viel Zeit f�r das Fundraising und das Managen von Social-Media-Kan�len aufbringen ? und niemand kann ihnen garantieren, dass das Finanzierungsziel erreicht wird. Crowdfunding misst dem Marketing einfach mehr Bedeutung bei als dem eigentlichen kreativen Schaffen. Kickstarter ist keine Meritokratie, das ist ein Forum f�r Ideen mit der besten Pr�sentation. Es gibt Menschen, die zunehmend professionelle Consultants engagieren, um ihre Kampagnen zu betreuen.�
ZEIT ONLINE: Sie kritisieren Kommerzialisierung im Internet. Doch das Internet, wie wir es heute kennen, ist das Ergebnis der Deregulierung von staatlicher Infrastruktur. Ohne Kommerzialisierung w�re das World Wide Web vielleicht eine Nischentechnologie geblieben und wir w�rden alle AOL und Compuserve nutzen. Ist Kommerz notwendigerweise schlecht?
Taylor: Guter Punkt. Aber heute brauchen wir ein Gegenargument. Wir h�ren viel �ber den Markt und das Silicon Valley und wie dort Innovationen gef�rdert werden, w�hrend die Rolle des Staates in diesen Entwicklungen nicht anerkannt wird ? egal, ob es sich um das Internet selbst, Mikrochips oder Touchscreens handelt. Dann gibt es diese endlose Panikmache wegen der "Regulierung" des Netzes, egal, ob es um Netzneutralit�t oder Privatsph�re geht. Die Frage aber ist: Haben wir der Privatwirtschaft zu viel Macht gegeben? Das Internet wurde zwar zur selben Zeit allt�glich, als private Akteure aufgetaucht sind, aber der freie Markt ist doch deshalb nicht der einzige Weg. In den USA wollen Kabel- und Internetanbieter die totale Kontrolle �ber Datenleitungen, ohne jegliche staatliche Regulierung, und das, obwohl sie von zahlreichen �ffentlichen Zusch�ssen profitiert haben. Ohne diese Zusch�sse w�ren sie gar nicht erst im Gesch�ft.
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